Ost-westliches Zwiegespräch. Die koreanische Künstlerin Yun-Hee Huh.
Peter Rautmann
Yun-Hee Huh ist eine leidenschaftliche Zeichnerin, in deren Werk sich ein ost-westliches Gespräch entfaltet. Dieses ist gespeist von den Erfahrungen einer koreanischen Künstlerin, die zu einem zweiten Studium nach Deutschland/Europa aufbrach, in einen neuen Kulturkreis eintrat und dieser Spannung Ausdruck verlieh. Mittlerweile, nach Abschluss ihres Studiums an der Hochschule für Künste/University of the Arts Bremen ist sie wieder nach Korea zurück gekehrt.
Yun-Hee Huh versteht es, ihre Erfahrungen der Trennung, des Schmerzes, der Verlassenheit, aber auch der ersehnten Rückkehr, des Glücks und der Freude in künstlerischen Arbeiten von großer Eindringlichkeit umzusetzen. Sie benutzt dazu die Symbolsprache bildlicher Metaphern, die, einerseits universal und vertraut (der Baum des Lebens, Samen, Früchte und Blumen als Symbole des Wachsens), andererseits in ungewohnter Weise zusammengefügt werden, um den eigenen Erlebnissen Raum zu geben: Aus sich öffnenden Händen fallen dunkle Samenkörner nicht auf die Erde, wie man vermutet könnte (und wie es van Gogh mit seinem Säer vorgemacht hat), sondern in ein bewegtes Meer; denn aus dem Wasser ist alles Leben entstanden. Das Gefühl des Wachsens, die Lust, sich mit schweren Armen, die zugleich, befreit, zu Flügeln werden, erheben zu können, das Gefühl, die Empfindung eines Wachsens im eigen Körper, die die Verbundenheit zu den Pflanzen, den Gräsern, Bäumen, Blumen und ihren Samen beinhaltet – all das sind Vorstellungen, die auf Bildfindungen warten. In glücklicher Stunde kann dies gelingen.
Aufbruch und Rückkehr, Verlassen und Ankommen sind wichtige emotionale Knoten wie künstlerisch-thematische Schnittstellen im Werk der Künstlerin. Die wichtigste Metapher ist daher die Reise und mit ihr das Schiff: Der kleine Nachen, in dem man zur Reise aufbricht, schwer beladen bahnt er sich seinen Weg nach Hause, das Seil eingezogen: aber noch schleift es im Wasser – hakt dort ein Anker ? Oder handelt es sich eher um einen Schlauch, der das Lebenselexier Wasser zum wartenden Kopf mit fischverschlossenem Mund weiterleitet? Es bleibt in der Schwebe und in der Assoziation des Betrachters gesetzt, welche Färbung die Oberhand gewinnt. Jedenfalls sind es Traumbilder mit großen, stillen Köpfen, deren Augen blicklos, nach innen gerichtet sind, in sich hinein horchend, im Land der Träume, des Schlafes und des Unbewussten beheimatet, diesem riesengroßen Meer, auf dem die kleine Insel unseres Bewusstseins verloren schwimmt.
Das Material der Zeichnungen ist fast durchweg der Kohlestift. Er ermöglicht, klare schwarze Konturlinien auf dem Nichts des weißen Papiers zu setzen, aber auch das Verwischen einer Niederschrift, die im Prozess der künstlerischen Arbeit wieder verworfen und mit dem Verwischen in den Hintergrund gedrängt wird, um neuen Assoziationen Raum zu geben.
Die Einzelblätter können sich zu Blattfolgen verketten und sind dann Tagebuchdokumente, Niederschriften von unterschiedlichen Seins- und Empfindungszuständen im Verlauf eines Zeitabschnitts, einer Woche, Tag für Tag: Das Gefühl des Eingeschlossenseins im engen, fenster- und türenlosen Haus, zaghaftes Ausbrechen, befreites Dasein, ein Höhenflug und wolkenhaftes Schweben, Abbruch und erneute Verschlossenheit in den schwarzen Wänden des Hauses.
Die Arbeiten können sich auch zu monumentalen Wandarbeiten steigern – dann zeichnet Yun-Hee Huh mit einem an einem Besenstil gebundenen Kohlenstift. In Videodokumentationen dieser Arbeiten fasziniert besonders das rhythmische Kratzen des Kohlestifts auf der Wand. Das Hervorbringen der Gestalten erfolgt durch Verbindung des Kohlenstaubs mit der rauen Oberfläche der Wand – was dort nicht haften, sich festkrallen kann, sinkt, wie ein sanfter Blütenregen, zu Boden, dort liegen bleibend, gestaltlose Materie. Dieses Material harrt aber erneut der Hand, die es zu gestalten vermag. Jede künstlerische Handlung bedeutet, etwas Unsichtbares in die Sichtbarkeit zu überführen, ein Innen in ein Außen zu verwandeln, zu transformieren: Die Künstlerin setzt ihre Zeichen, bannt sie auf die Wand, ermöglicht symbolhaftes Leben.
Yun-Hee Huh schreibt auch Gedichte: In einfachen wohlklingenden Worten beschreibt sie Prozesse des Lebens. Die Gedichte gleichen eher Gesängen, voller Jubel und voller Trauer. Am besten sollte man sich ihre Gedichte laut vorlesen, um den sprachlichen Klängen zu lauschen: „I have a longing, / a longing / to become a plant / which turns toward the light.“ Im Prozess des Lesens entsteht das Verlangen nach Leben.
Das gedankliche Material ihrer Arbeiten ist der Dialog der Kulturen, Migration als eine Schlüsselerfahrung des 20., und erst recht des 21. Jahrhunderts. Ihre Arbeiten machen sichtbar, was in vielen Migrationsschicksalen nur sprachlos erlebt wird: Sie sind Bilder der Suche nach einem Zuhause, wo noch niemand war. In vielen ihrer Arbeiten herrscht als Grundstimmung ein Gefühl des Unbehausten und zugleich eine Sehnsuchtsstimmung, die an den deutschen Romantiker Joseph von Eichendorff und dessen berühmtes Gedicht „Mondnacht“ erinnert, dessen Schlussverse lauten: „Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus, / Flog durch die stillen Lande, / Als flöge sie nach Haus.“ So grüssen sich verwandte Geister zwischen fernen Räumen und Zeiten.
Prof. Dr.Peter Rautmann
Ex-President des Hochschule fuer Kuenste Bremen
Vorsitz des Institut Syn